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Seemannschaftslehrgruppe

 

Die Insel und das Militär

Der Standort der Seemannschaftslehrgruppe war auf der Insel Borkum. Die Insel ist die westlichste und mit ca. 31 km² die größte der sieben bewohnten Ostfriesischen Inseln. Sie liegt nördlich der Emsmündung und ist der niederländischen Küste näher als dem deutschen Festland. Borkum hat ca. 5500 Einwohner.

Wappen der Insel Borkum
Bereits 1902 erhielt Borkum Status einer Seefestung. Die Insel wurde mit Geschützstellungen und Bunkern versehen. Dadurch wuchs auch die Borkumer Kleinbahn von ursprünglich etwa acht Kilometern Streckenlänge auf ca. 45 Kilometer 1938 und wurde teilweise sogar zweispurig ausgebaut. Die Marine baute zahlreiche Gleisanschlüsse und zusätzliche Querverbindungen. Die Bahn diente vorwiegend zum Materialtransport und verband den Inselort mit den verschiedenen Festungsanlagen.
Im Dezember 1934 testete Wernher von Braun zwei Raketen, „Max“ und „Moritz“, im Borkumer Ostland. Nach diesen erfolgreichen Tests wurde die deutsche Raketenforschung in Peenemünde weiter fortgesetzt. Auch einen Seefliegerhorst gab es auf der Insel.
Am 23. Oktober 1956 bezog die Bundesmarine die Kaserne im Stadtteil Reede. In diesem Stadtteil liegt auch der Hafen mit dem Fähranleger [siehe auch hier]. Auf Borkum waren stationiert:
 
  • das Seebataillon von 1961 bis 1964
  • die Strandmeisterkompanie von 1965 bis 1972
  • ab 1965 eine SAR-Außenstelle des Marinefluggeschwaders 5 Kiel Holtenau, heute ein Außenlandeplatz
  • das 1.Landungsgeschwader von 1968 bis 1977
  • die Signalstelle Borkum bis 1972
  • eine Vermittlungsstelle der Bundesmarine ab 1974
  • Marinesanitätsstaffel bis 1996
 

Vorgeschichte der Seemannschaftslehrgruppe

Am 01.Juli 1956 wurde die 2.Schiffsstammabteilung in Glücksburg-Meierwik aufgestellt. Bereits im August 1956 fand die erste Rekruteneinstellung statt. In der 2.Schiffsstammabteilung fanden die militärische Grundausbildung und auch die Fachlehrgänge der seemännischen Verwendungsreihe statt.
Am 15.Juli 1959 wurde die 2.Schiffsstammabteilung in das 2.Marineausbildungsbataillon umbenannt und dem Schiffsstammregiment unterstellt. Eine weitere Umbenennung erfolgte am 01.September 1966 in „Marineausbildungsbataillon 2“, das dem Marineausbildungsregiment unterstand.
Das Marineausbildungsbataillon 2 war das Ausbildungszentrum der Verwendungsreihe 11 – seemännischer Dienst. Es wurden ausgebildet: der Decksdienst, Geländeübung auf dem Übungsplatz Twedter Feld, die Bootsausbildung auf Kraftbooten und Kuttern im eigenen Bootshafen und die praktische seemännische Ausbildung auf den KW-Booten KW-2 und KW-8 sowie optischer Fernmeldedienst.

Die Seemannschaftslehrgruppe

Am 30. September 1969 wurde das Marineausbildungsbataillon 2 aufgelöst.
Die Aufgaben des Bataillons gingen mit Wirkung vom 01.Oktober 1969 die auf Borkum aufgestellte Seemannschaftslehrgruppe über. Unterstellt war die Lehrgruppe zunächst dem Admiral der Marineführungsdienste, dann mit der Umgliederung des Marineamtes ab 01.Oktober 1973 dem Amtschef Marineamt unmittelbar.


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In den Gebäuden des ehemaligen Seefliegerhorstes nahm die Lehrgruppe die Ausbildung für den seemännischen Nachwuchs der Marine auf. Die Fachlehrgänge der seemännischen Verwendungsreihe wurden hier durchgeführt. Pro Quartal durchliefen diese 240 Gasten, 60 Unteroffiziersanwärter und 20 angehende Bootsleute. Anfang der 70er Jahre erweiterte sich der Ausbildungsauftrag um die Durchführung der militärischen Grundausbildung mit 370 Rekruten.
Im Oktober 1971 wurde der berühmte Matrosenchor an der Seemannschaftslehrgruppe gegründet.
Im Sommer 1974 sind die beiden Ausbildungsboote KW-2 und KW-8 der Lehrgruppe außer Dienst gestellt worden und durch das Mehrzwecklandungsboot „INGER“ ab 15.August1974 ersetzt worden.
Am 15.Juni 1976 wurde die Geschützausbildung durch die Übergabe des neuen Artilleriegebäudes verbessert. In ihr waren sechs 40mm L/80 Bordlafetten für die Ausbildung aufgestellt. Das dazugehörende Schießkino – Dometrainer - wurde im Februar 1978 in Betrieb genommen.
1977 wurde eine Patenschaft zwischen dem Mehrzwecklandungsboot „INGER“ und der Stadt Bottrop abgeschlossen.  

Die 80er Jahre waren durch Bautätigkeit zur Verbesserung der Ausbildung gekennzeichnet. Am 31.Mai1983 wurde ein neues Lehrsaalgebäude eingeweiht und nach dem Hilfskreuzer „ATLANTIS“ benannt.
Auch 1983 wurde die Seeversorgungsanlage, ein Simulator für Versorgungsmanöver, zur Ausbildung freigegeben.
1986 nahm die neue Standortschießanlage den Betrieb auf.
Auch die Sportanlagen wurden neugeschaffen und 1988 übergeben.
Das ehemalige schnelle Minensuchboot „WIDDER“ wurde 1989 als Ausbildungshulk der Lehrgruppe zur praktischen seemännischen Ausbildung übergeben. Das Mehrzwecklandungsboot „INGER“ wurde 1992 außer Dienst gestellt. Die Partnerschaft mit der Stadt Bottrop wurde nun durch die Seemannschaftslehrgruppe weitergeführt.

Am 31.März 1996 wurde die Seemannschaftslehrgruppe Borkum aufgelöst. Über 25 000 Seeleute haben dort ihr handwerkliches und soldatisches Rüstzeug erhalten.

Das Maskottchen

Zu den 11ern (Verwendungsreihe 11 – seemännischer Dienst) sagt man auch „Seeziegen“. Auf Borkum war eine Ziege das Maskottchen. Dazu schrieb Karl-Heinz Eberhard :

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„Das Maskottchen, Ziege Olga, wurde uns von einem Rekruten geschenkt. Da die Vorschrift vorsieht, daß ein Tierhalter benannt sein muß, hat man mich als Spieß (weil ich wohl am längsten bei der SeemLehrGrp bleiben würde) ausgeguckt und war fortan der „Ziegenpeter“. Die Ziege haben wir nach Auflösung der SeemLehrGrp an einen Borkumer Tierfreund übergeben. Ich hatte für sie eine normale, komplette Zusatzakte angelegt incl. einer echten Ernennungsurkunde zum SaZ* und einer Beförderungsurkunde zum Hauptgefreiten.“
* SaZ = Soldat auf Zeit

 

Die Auflösung

Mit der Neuordnung der Schullandschaft der Bundesmarine stand auch die Auflösung der Seemannschaftslehrgruppe Borkum fest. Dazu wurden ein Umzugsplan sowie ein Sozialplan erarbeitet. Bereits vom 30.Mai bis 02.Juni 1995 wurde eine Informationsreise nach Parow durchgeführt. Teilnehmer waren die voraussichtlich zur Versetzung stehenden Soldaten und ihre Ehefrauen. Das Ziel war es, sich über den zukünftigen Standort Stralsund sowie über die hiesigen Lebensverhältnisse zu informieren. Schwerpunkte waren u.a. die Wohnungslage, der Arbeitsmarkt, Schulen und Kinderbetreuung.
Am 01.Oktober 1995 wurde in Parow die Projektgruppe „Umzug SeemLehrGrp Borkum“ eingerichtet. Im Januar 1996 wurden Erfahrungsträger der Lehrgruppe nach Parow kommandiert, sie organisierten den Umzug der Übungsanlagen mit. Dazu musste der gesamte Bootspark - Pinassen, Barkassen, V-Boote, Segelkutter, Segelyachten, Jollen und die Hulk „WIDDER“ - nach Parow gebracht werden. Ebenso die sechs 40mm L/80 Bordlafetten für die Ausbildung usw.
Am 28.März 1996 wurde die Marinetechnikschule in Dienst gestellt und am 01.April 1996 nahm die Lehrgruppe C mit der Grundausbildung den Dienst auf. Die ersten beiden Inspektionen führen die Grundausbildung von der Seemannschaftslehrgruppe Borkum weiter [siehe auch hier].
Die militärfachlichen Ausbildung „Maat“ der Verwendungsreihe 11 begann in der Lehrgruppe C am 01.Juli 1996. Es folgten 1996 die Lehrgänge für die militärfachlichen Ausbildung „Bootsmann“ der Verwendungsreihe 11 und zum Bootsführer LCM (Landing Craft Mechanized - Landungsboot).
Seither wird die Ausbildung der traditionsreichen Verwendungsreihe 11 nunmehr an der MTS in Parow fortgeführt.
An der Truppenfahne der Marinetechnikschule ist das Fahnenband der Seemannschaftslehrgruppe mit angebracht - Traditionslinie.
Die 12.Inspektion hat in ihr Wappen auch das Wappen der SeemLehrGrp integriert. Das Unterkunftsgebäude der 12. Inspektion trägt das Wappen der SeemLehrGrp Borkum.
Das erste Straßenschild in der Strelasund-Kaserne am Hafen von Parow wurde am 30.11.2012 durch den Bundesminister der Verteidigung a.D. Volker Rühe enthüllt, es trägt den Namen „Borkumufer“.
 

Nachnutzung der Liegenschaft auf Borkum

Die Liegenschaft ist heute Jugendherberge. In den Gebäuden der ehemaligen Seemannschaftslehrgruppe betreibt das Deutsche Jugendherbergswerk seit Oktober 1996 die Jugendherberge „Am Wattenmeer“. Mit 582 Betten und einem rund 20 Hektar großen Gelände ist sie die größte ihrer Art in Europa.

Anmerkung
Für Berichte, Ergänzungen und Bilder von ehemaligen Angehörigen der Seemannschaftslehrgruppe, die ich auf dieser Homepage veröffentlichen darf, bin ich dankbar.

© 2009 - 2015 Peter Kieschnick